Als wir vor mehr als zwei Jahrzehnten an den Stadtrand zogen, gab es in unserem Garten einige „Altlasten“, vor allem in Form von Bäumen.
Ich werde beispielweise nie vergessen, wie ich aus dem Fenster im ersten Stock nach hinten in den Garten auf den riesigen Walnussbaum blickte und dachte: „Wow, der ist schon so alt und gehört jetzt uns!“
Unsere Siedlung entstand in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts und Walnussbäume in jedem zweiten Garten gehörten standardmäßig dazu. Sie dienten der Notfallversorgung der Arbeiter in der Rüstungsindustrie, für die diese Häuser gebaut worden waren. Der Baum hat uns (und den Waschbären …) seither mit Tonnen von Nüssen versorgt und ist bis heute ein wichtiger Schattenspender, weil wir es im Hochsommer sonst im Garten nicht aushalten würden.
Unbekanntes Bäumchen
Und dann stand noch ein kleiner Baum im Vorgarten, direkt auf der Grundstücksgrenze zum Nachbarn. Er war kaum größer als ich und hatte so eine lustige gedrehte Spitze und langfädige rote Fusselblüten mit schwarzen Kernen an den Enden. Sowas hatte ich noch nie gesehen und deshalb durfte das Bäumchen auch bleiben. Dabei bemerkte ich gar nicht so recht, wie er wuchs. Und wuchs.
Heute ist er ein riesiger Acer negundo, auch bekannt als Eschen-Ahorn. Ich musste ein auf die Seite gedrehtes Panorama-Foto davon machen, um ihn in voller Größe zeigen zu können.
Es ist ein männliches Exemplar und der einzige seiner Art weit und breit. Ich hätte mal früher herausfinden sollen, um welche Baum-Art es sich handelt, dann hätte ich vielleicht wenigstens die Spitze gekappt, als ich noch bequem herankam. Denn 15 Meter ist die Größe, mit der der Baum überall beschrieben wird.
Unser Haus ist acht Meter hoch, und bei jedem Sturm fragen sich die Kinder, ob das Gewächs wohl umstürzen und auf unser Dach fallen wird. Und zwar dort, wo wir alle unterm Dachfenstern schlafen. Ich bin Optimistin und glaube das nicht, sondern erfreue mich an den witzigen Blüten. Zumindest so lange sie am Baum hängen. Sobald sie abfallen, bedecken die „Strippen“ die ganze Auffahrt und verfangen sich in den Scheibenwischerblättern, sowie am Dachgepäckträger und werden so in der ganzen Stadt verteilt.
So sehr ich auch beim Abfummeln der eigenwilligen Blüten fluche, so hoffe ich doch, dass die eine oder andere auf den Fahrten durch die Stadt auf ein weibliches Exemplar trifft. Eschenahornbabys!
Ich bin eben eine Romantikerin.
Deshalb werde ich auch nie verstehen, weshalb manche Menschen nach einem Hauskauf erst einmal alle Bäume im Garten abholzen und auch die restliche Vegetation platt machen.
Stattdessen denke ich an Leute, wie den „Baumpaten“ Ben Wagin [Wikipedia], dessen Installation mit Gingko-Bäumen mich in den 80er Jahren an der Straße des 17. Juni Ecke Bachstraße immer erfreute, wenn ich zur Uni ging. Von solchen Baumhätschlern brauchen wir viel mehr – und deshalb darf unser Ahornmännchen auch weiterhin stehen bleiben.
© Petra A. Bauer, Mai 2016