Das ist mein erster Besuch auf der Bloggermesse Re:Publica. Da ich die Veranstaltung erst mal auf mich wirken lassen möchte, bin ich ganz ketzerisch mit einem Moleskine-Notizbuch (die hat schon Ernest Hemingway benutzt) und ohne internetfähiges Handy unterwegs, fast schon ein digtaler Dinosaurier zwischen den ganzen iPads, iPhones und MacBooks der neuesten Generation. Zwischen den ganzen Digital Natives hier komme ich mir manchmal vor wie ein Anthropologe, der mal schaut, wie der Stamm der Netzindianer eigentlich so funktioniert.
Ab und zu habe ich den Impuls, jedem eine Fritz-Cola auszugeben, der wie ich noch mit einem klassischen Notizbuch aus Papier in den Vorträgen sitzt. Offline-Blogger Roland wird mich vielleicht verstehen. Einige digitale Stilblüten treffe ich auch auf meiner Entdeckungstour: In einem Workshop über Netzkompetenz, in dem ich mich eigentlich auf eine offene Diskussion gefreut habe, fangen die Teilnehmer spontan an, ihr Brainstorming in der Gruppe zu twittern, anstatt zu reden. Zwanzig Leute, die sich physisch im selben Raum befinden, halten schweigend die Köpfe über ihre Iphones gebeugt. Als ich anfange zu lachen und sie frage, ob sie sich nicht doch lieber unterhalten möchten, sind sie peinlich berührt und kommen schnell wieder ins reale Gespräch.
Mein Marschbefehl war, über grüne Themen auf der Re:Publica zu bericheten. Mein Fazit hierzu kann ich schnell ziehen: Mehr grüne Themen hätte die Re:publica in diesem Jahr ganz gut vertragen – zum Beispiel wie im Netz gegen die neue EU-Saatgutverordung vorgegangen wird und wie sich Netzkommunikation allgemein auf die Green-Living-Bewegung auswirkt. Das sind Themen, die ich hier gerne gesehen hätte. Vielleicht hat ja der eine oder andere Netzgärtner Lust, hier gestaltend mit einzugreifen und für das nächste Jahr eine Session vorzubereiten? Ein grüner Moment ist auf jeden Fall mein netter Messekaffee mit Rosenbloggerin Cecile und Petra, der „Bauerngartenfee“.
Trotz der Abwesenheit offensichtlich grüner Schwerpunkte auf der diesjährigen Re:Publica, freue ich mich über drei inspirierende und spannende Tage, die mich dazu anregen, über unser Leben im Netz und meine Identität als Blogger nachzudenken. Der Fokus der Re:Publica 13 liegt klar auf Metathemen rund ums Internet, auf Kommunikationswegen und Strukturen, von Crowdsourcing bis Netzneutralität und Netzpolitik.
Afrika, Kuba und Co.
Afrika, Asien und Kuba bringen einen internationalen Schwerpunkt auf die Re:Publica und sind mit einer ganzen Reihe von Sessions vertreten. Yoani Sanchez aus Kuba erinnert mich in ihrem Vortrag wieder an die Relevanz des Internets als freies Kommunikationsmedium: Sie bloggt gegen das Informationsembargo des dortigen Regimes an und verrät ihre Tricks, wie man Informationen ohne eigenen Internetzugang ins Netz bringen kann, zum Beispiel beim Twittern ohne Internet per Service-Telefonnummer. Sie bringt ihre Tricks zum „Bloggen ohne Internet“ auch andern Kubanern bei und ist so maßgeblich am Aufbau einer politischen Bloggerszene im Land beteiligt.
Startups in Afrika bekommen ebenfalls eine Plattform auf der Re:Publica und zeigen mir das verbindende Potential des Internets. Beate Wedekind, die ehemalige Chefredakteurin der „Elle“ und der „Bunten“ stellt ihr Projekt „The New //Africa“ vor, das afrikanische Erfolgsstories multimedial nach Europa tragen will, um für Unterstützung für dortige Kleinunternehmen zu werben und ein differenziertes Bild des schwarzen Kontinents zu vermitteln. Aktuelle Stories aus Äthiopien, die sie auf der Re:publica vorstellt, sind der organische Anbau von Bambus zum Möbelbau und eine Schuhfabrik, die aus recycelten Autoreifen Designerschuhe herstellt.
Authentizität im Netz
Natürlich höre ich mir auch den Vortrag von Netz-Urgestein Sascha Lobo an. Er ermutigt die mehreren tausend versammelten Zuhörer dazu, zu den eigenen Interessen zu stehen und die Themen, die einen begeistern, ins Netz zu tragen, egal wie seltsam und nischig sie sein mögen. Er empfiehlt der Netzgemeinde, einfach zu „machen“ statt nur im Netz zu hängen und zu twittern und zu mumblen. Sich für Themen leidenschaftlich einzusetzen, auch wenn man sich dabei unter Umständen „zum Horst macht“.
Das scheint mir ganz gut zu dem zu passen, was wir Gartenblogger jeden Tag so tun. Menschen, die sich einen 4 qm Balkon mit Kakteenregalen, Rosenbeeten und Gemüsegärten zustellen und dafür auch schon mal die Balkonmöbel raus schmeißen um mehr Platz für Pflanzen zu haben, machen sich auf jeden Fall leidenschaftlich und mit sehenswertem Resultaten „zum Host“. Weiter so!
Auch im Vortrag von Firefox – Chefin Mitchell Baker geht es um Authentizität und Transparenz im Internet. Sie hebt hervor, wie wichtig es ist, als Netz-Unternehmen Vertrauen zu schaffen und die Crowd in die Unternehmensentwicklung mit einzubeziehen. Sie erzählt, dass sie durch ihre Crowdsourcing – Aufrufe zwar auch Kritik, aber ungeahntes Input von Spezialisten erhalten hat. Selbst wenn es im Beta-Stadium neuer Projekte mal „messy“ wird, würde durch transparente Unternehmensführung öffentliches Vertrauen geschaffen und die Projektentwicklung würde langfristig profitieren.
Yarnbombing und die Craftistas
Obwohl ich die blühenden Netzgärten auf der Re:Publica in diesem Jahr etwas vermisse, finde ich am zweiten Messetag zumindest einen Stamm von Netzindianern, dem ich mich als Gärtnerin sehr verbunden fühle. In einem Vortrag von Daniela Warndorf und Kiki Haas höre ich mehr über die Craftistas und Urban Knitters, die mit bunten Yarnbombs Gartenzäune, Bäume und Laternenpfähle umstricken und so nicht nur das Häkeln und Stricken aus der verstaubten Omi-Ecke holen, sondern mit dieser neuen Form der Street Art auch Farbe in graue Stadtbezirke bringen – ganz ähnlich wie Urban Gardeners.
Plattformen wie Ravelry und DaWanda sind der digitale Treffpunkt der Craftistas. DIY anstatt Konsum ist in jedem Fall auf dem Vormarsch, egal ob man sich nun seine eigenen Tomaten zieht oder einen Pulli aus natürlicher Schafwolle vom Spinnrad bis hin zur Stricknadel selbst anfertigt.
Beyond Blogging: Ein Besuch bei den Berliner Urban Gardeners in den Prinzessinengärten
Nach drei Tagen voller Vorträge und Netzthemen auf der Re:Publica 2013 habe ich Lust, noch ein paar Leute zu treffen, die nicht nur reden, sondern wie Sascha Lobo fordert, einfach „machen“ und darüber auch im Netz berichten. So statte ich noch den Prinzessinnengärten am Moritzplatz einen Besuch ab, wo mitten in der Stadt auf einem ehemaligen Abrißgelände ein urbanes Gartenprojekt läuft.
Schnell wird klar: hier geht es nicht um’s Dekogärtnern, hier werden pragmatisch und effizient Gemüse und Kräuter angebaut. Die Erde ist Bioerde, die in großen Säcken in den Garten gebracht wird. Selbstgemachte Hochbeete sind aus Bäckerkisten gebaut. Ich unterhalte mich kurz mit der dortigen FSJ-lerin, die gerade Oregano pflanzt. Sie erzählt mir, dass ein selbst gemachtes Bewässerungssystem aus gebrauchten Materialien gerade im Aufbau ist.
Ich trinke im Biergarten der Prinzessinengärten einen „Wurzelsaft“, eine selbstgemachte quietschrote Limonade aus Apfelsaft, Rote Beete und Rhabarber und lasse den Ort auf mich wirken. Die Stühle sind aus alten Europaletten mit verflochtenen Fahradschläuchen als Sitzfläche – ein Projekt der Materialmafia, die im Garten Workshops zu Recycling abhält. Kinder rennen rum und spielen, am Marktstand werden Jungpflanzen verkauft, an einem Eck des Gartens werden gerade aus Schrotträdern neue Fahrräder gebaut. Kräuter und Rhabarber sprießen, an Bäumen hängen Wildbienenkästen, in den Hochbeeten wird gepflanzt, wer Lust hat, kann einfach mitmachen oder auch für den Eigenbedarf ernten. Grünes Leben mitten in der Stadt, ich fühle mich richtig wohl hier. Wer mal in Berlin ist, sollte den Prinzessinnengärten unbedingt einen Besuch abstatten.
Mein Fazit aus Re:Publica und Großstadtgarten ist ganz einfach: Das Internet braucht den Rückbezug auf die reale Welt, um relevant zu sein. Es ist ein Medium, das man nutzen sollte, um gesellschaftliche und politische Themen zu verbreiten. Wenn das Internet zum Selbstzweck wird, wird es schnell eine undefinierte Seifenblase. In diesem Sinne: einfach „machen“ und im Netz davon erzählen!
Mein eigener Netzgarten heißt Cactus Practice. Schaut mal rein, ich freu mich über Besuch!
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Bei Cactus Practice gibt es Geschichten und Gedanken rund ums Hobbygärtnern mit stachligen und anderen Gewächsen, Tipps für Aussaat und Pflege von Kakteen, Sukkulenten und Epikakteen, Hoyas, Stapelien, Ceropegias, Schlumbergeras, Passionsblumen, Opuntien uvm. Experimentalgärtnern auf kleinem Raum mit viel Enthusiasmus!
2 Kommentare
Danke, schön das Bloggerklassentreffen aus Sicht der Gartenblogger beschrieben zu bekommen. Echte grüne Inhalte waren übrigens dort immer selten gesät, nicht nur in diesem Jahr. Ansonsten: es ist wirklich eine Konferenz, eine Messe bedeutet Waren zur Schau zu stellen.
Und das mit den Notizbüchern ist gar keine so große Sache, auf der re:publica sind verdammt viele Menschen analog unterwegs. Genau wie sie gemeinsam mit den Smartphones voreinander stehen, weil sie ihre Timelines lesen – denn das gehört zur re:publica genauso dazu. Letztendlich unterhalten wir uns eben auch analog zu den digitalen Inhalten zur re:publica. Oder man verabredet sich via Twitter zum nächsten Treffen etc.
Also alles sehr normal und zeitgemäß in der Sache. 😉
Danke für den netten Kommentar. Hab mich auch ganz wohl gefühlt beim „Klassentreffen“ :), es war in jedem Fall interessant und vielseitig, nächstes Jahr wieder.
Notizbücher aus Papier hab ich in 3 Tagen genau 3 Stück gesichtet – mein eigenes mitgezählt. Auf Papier „denkt man anders“, finde ich, deshalb ist es für mich immer noch das ideale Entwurfsmedium. Schön dazu war auch der Vortrag von Lothar Müller über das Blatt und das Netz.
Der Cyberpunk-Express-Train hat mir aber genauso großen Spaß gemacht! War einfach viel geboten auf der Re:Publica. Normal wird im Übrigen sowieso überbewertet:)