Wie ich bereits erwähnte, ploppt bei den ersten Sonnenstrahlen sofort die gesamte Nachbarschaft hinter dem Gartenzaun auf und der Weg zum Einkaufen gestaltet sich als Hindernislauf.
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Der Nachbar mit der rotgeäderten Knollnase zum Beispiel. Sein Arzt hatte ihm vor einigen Jahren geraten, mehr auf seine Gesundheit zu achten. Daraufhin opferte er seinen englischen Rasen und baut nun sein eigenes Obst und Gemüse biologisch an. Er schwört auf Pferdemist und Pflanzenjauche.
„In diesem Supermarktzeug ist ja überall nur Gift drin. Meine Tomaten sind auch viel leckerer; die müssen Sie im Sommer mal probieren!“ Dann senkt er die Stimme: „Und Sie glauben gar nicht, wie mein selbst gebrannter Wodka jetzt schmeckt! Ich ziehe hinten in der Ecke dafür jetzt immer Biokartoffeln.“ Er greift hinter die Gartenbank und zieht eine Flasche hervor. „Wollen Sie mal probieren?“ Ich lehne dankend ab, woraufhin er selbst einen kräftigen Schluck aus der Pulle nimmt und fortfährt von biologischer Düngung zu schwärmen.
Ich verkrümle mich dezent und laufe der Nachbarin mit den zwei kleinen Kindern in die Arme, die erst seit zwei Jahren hier wohnt.
„Gut, dass ich Sie treffe! Ich habe neulich gentechnikfreien Zuckermais bestellt. So viel kann ich aber gar nicht anbauen. Möchten Sie auch etwas von dem Saatgut abhaben?“ Erfreut sage ich zu, während der kleine Jonas auf ihrem Arm testet, wie stabil meine Haare in der Kopfhaut verankert sind. Das ist unangenehm, weil er mich damit in die Nähe der Zigarette zieht, die seine Mutter in der anderen Hand hält.
„Wissen Sie, gerade mit Kindern ist es ja so wichtig sich gesund zu ernähren und darauf zu achten, die Genmafia so weit wie möglich von sich fernzuhalten. Wer weiß, was da so alles im Erbgut geschädigt wird, bei den Kleinen.“ Sie zieht an der Zigarette, dreht sich von Jonas weg und der Wind bläst ihm den Rauch ins Gesicht.
„Plastikverpackungen kaufe ich auch nicht mehr. Da ist überall Bisphenol A drin und Schlimmeres! Ich bewahre alle Vorräte in Gläsern auf. Wir bauen auch nur alte Gemüsesorten an, keine F1-Hybriden. Möchten Sie vielleicht später auch was von unseren Pastinaken und Topinambur haben?“ Die Nachbarin redet und redet. Ich werde plötzlich sehr müde. Mein Blick schweift umher und fällt auf ihre Ente mit dem H im Kennzeichen, mit der sie immer die 200 Meter zum Supermarkt fährt.
Man muss halt Prioritäten setzen.
© Petra A. Bauer, März 2014