Woher bekommt man in der Stadt natürliches Gemüse?

von Julia

Ich bin eine Großstadtpflanze. Zwischen Beton, Kiezkultur und Stadtparks fühl ich mich am wohlsten. Hauptsache es ist immer was los und ich kann um 4 Uhr morgens noch Falafel für mich und meine Tanzpartner besorgen. Aber ich bin auch ein Naturkind, das, wenn es nicht gerade um 4 Uhr Morgens am Falafelimbiss einkehrt, auf seine Umwelt und Ernährung achten möchte.

Wenn man einmal anfängt sich mit Lebensmittelproduktion und seinen Umwelteinwirkungen auseinander zusetzen, kann einem das schon mal den Appetit verderben. All die Nachrichten über Pestizide, Dünger, Bienensterben, falsch deklariertes Bio-Gemüse, Verluste der Biodiversität, undurchsichtige Transportketten und ressourcenintensive Produktion haben mich nachdenklich gemacht. Und nachdem ich eine Dokumentation über Zustände auf spanischen Farmen gesehen habe, die für deutsche Discounter Gemüse produzieren, habe ich mich entschieden: ein Großteil meiner Ernährung soll regional, saisonal und bio sein.

Das zu entscheiden ist ja erst einmal schön. Aber woher bekommt man natürliches Gemüse, wenn man in der Großstadt wohnt? Klar, man geht in den Bioladen und kauft da ein. Abgesehen davon, dass das auf Dauer ganz schön teuer ist, ist mir das eigentlich immer noch zu anonymisiert. Ich will ganz genau wissen, wo das Gemüse wohnt und was es letzten Sommer getan hat. Am liebsten will ich live dabei sein, wenn es wächst. Da gibt es in Berlin mittlerweile mehrere Möglichkeiten; von Urban Farming über Hofladeneinkauf und Biokisten-Abos bis Food-Coops. Schauen wir uns die mal an.


Urban Farming

Vor der Industrialisierung wurden in den Städten Lebensmittel produziert. Heutzutage überlassen Großstädter nicht nur die Produktion, sondern oft sogar die Zubereitung anderen.  Doch eine kleine Gruppe pflegte eh und jeh unbeeindruckt sein Urban Gardening. In Berlin nennt man sie liebevoll Laubenpieper. Einen dieser Schrebergärten beackern meine ehemalige Kommilitonin Annikki und ihre Freunde. In ihrem paradiesischem Garten in Neukölln pflanzen sie rund um ihre Datscha Mangold, Karotten, Kürbis und vieles mehr an. Tipps holen sie sich aus der Literatur von John Seymour, dem „Pionier der Selbstversorgung“.

Ich finde ihren Garten großartig. Aber woher bekomme ich jetzt einen Schrebergarten? Da kann man sich auf Wartelisten setzen lassen und muss ein paar Scheinchen bereit halten.  In Berlin wohnen 3,5 Millionen Menschen und es gibt knapp 70.000 Schrebergärten. Da braucht es keinen Mathe-Genie um zu merken: es reicht nicht für alle. Alternativ habe ich natürlich noch meinen Balkon. Aber der Platz hier reicht vielleicht für einen großen Tomatensalat.

Helfen könnte mir die neue Food-Bewegung, die besonders in den USA stark ist.  Das Ziel: Räume und Techniken schaffen für städtische Landwirtschaft. Michelle Obama züchtet schon Gemüse im Garten vom Weißen Haus, Brooklyns Dächer strahlen grün und Detroit pflegt seine Community Gärten auf Brachflächen.

Auch in Deutschland nimmt dieses Thema Fahrt auf. Ministerien fördern die Erforschung von Potentialen und Chancen von urbaner Landwirtschaft, Unis initiieren Ringvorlesungen über vertikale Indoor-Farmen, Gewächshausdächer und hängende Gärten, es werden sogar Professuren „Stadt und Ernährung“ geschaffen. Community Gärten wie auf dem Tempelhofer Feld oder in den Prinzessinnengärten werden von den Anwohnern begeistert aufgenommen. Toll, wie man mit ein bisschen Erde und ein paar Samen, Setzlingen und Stadtbienen zu einem positiven, lebendigen Stadtteil beitragen kann.

Ein spannendes Projekt hat das Fraunhofer Institut Umsicht ins Leben gerufen: Infarming. Laut dem Fraunhofer Institut  gibt es in Deutschland 1200 Millionen Quadratmeter Flachdächer von Nichtwohngebäuden. Auf rund einem Viertel der Fläche könnten Kräuter- und Gemüse wachsen. Nur braucht es hier neue Techniken und Materialien und in Duisburg entstehen gerade die Prototypen dafür. Wir sind gespannt, wann unser Supermarkt um die Ecke das in die Praxis umsetzt und kommerziell auf seinem Dach  mit Leichtbaumaterialien und hydroponischen Systemen Gemüse anbauen wird.  Bis das Realität ist, schaue ich mich allerdings nach Alternativen für mein tägliches Gemüse um.

 

Hofläden und Biokisten

Bei Holfäden bekommt man toll einen Eindruck wie der Hof arbeitet und wie das Gemüse angebaut wird. Man kann auch explizit nach verwachsenem Gemüse fragen, das sonst als „unverkäuflich“ auf dem Müll landen würde, weil es nicht gut genug aussieht. Allerdings habe ich einen ziemlich hohen Energieverbrauch, wenn ich immer ganz nach Brandenburg für meinen persönlichen Wocheneinkauf fahre. Effizienter sind da z.B. Biokisten-Lieferungen.

 

Food-Coops/Solidarische Landwirtschaft

Bevor ich das Flachdach meines Hauses beackern darf, habe ich beschlossen an „Speisegut“ teilzunehmen.  Eine Art Biogemüse-Abo von Landwirt Christian unter dem Motto „Gemeinsam Bauer werden“. Christian bewirtschaftet ab sofort 3 Hektar Land in Berlin und das bringt ihm etwa 120 – 150 Ernteanteile. Wer mindestens eins davon haben möchte wird Mitglied, so wie ich. Das kostet mich 55 Euro im Monat, ich bekomme Einblick in die Produktion und kann mein Gemüse sogar besuchen. Als Speisegut-Mitglied muss ich auch mithelfen. Drei Tage im Jahr auf dem Acker oder in die Einmach-Küche. Ich freue mich schon sehr an meinem Gemüse mitanzupacken und Teil einer kleinen Food-Bewegung zu sein.

Hier ein schönes Video von einem anderen Solidarische-Landwirtschafts-Projekt aus Brandenburg:

 

Hier ein paar interessante Links zum Thema

Speiseräume – Blog über Stadt & Ernährung
Bundesministerium für Bildung & Forschung
Infarming – Projekt vom Fraunhofer Institut Umsicht
Netzwerk Solidarische Landwirtschaft 

 

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Be the change you want to see in the world. Auf Green Friday dreht sich alles um Projekte, Ideen, Produkte und Lebensstile, die versuchen nachhaltiger zu sein als andere. Und zu den lebenslustigen Großstadtpflanzen wie den beiden Autorinnen passen.

 

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